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Männliche Gewaltbereitschaft und Amok vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden kapitalistischen Krisendynamik

Wissen, Leni

Exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft, Bd. 21 (2024), Iss. 21: S. 72–89

Zusätzliche Informationen

Bibliografische Daten

Wissen, Leni

Abstract

Der Artikel »Männliche Gewaltbereitschaft und Amok vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden kapitalistischen Krisendynamik« von Leni Wissen basiert auf einem Vortrag, den sie im Frühjahr 2023 im Rahmen des Koblenzer Sozialforums gehalten hat. Es sollen (globale) Erscheinungen einer zunehmenden Verrohung und Gewaltbereitschaft in den Blick genommen werden. Dabei soll gezeigt werden, wie gerade in den gesellschaftlichen Krisenzusammenhängen eine Dynamik entsteht, die Menschen immer abhängiger werden lässt von den globalen Krisenprozessen und dazu treibt, die eigene Autonomie, die eigene Freiheit angesichts des Drucks zur Anpassung umso heftiger zu verteidigen. Das sich als frei und autonom wähnende, real immer ohnmächtiger werdende (männliche) Subjekt sieht sich umso mehr gezwungen, die eigene Freiheit und Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen – und dies zur Not auch unter Anwendung von Gewalt. Dabei ist es nicht zufällig, dass Männer häufiger ›Täter‹ und Frauen häufiger ›Opfer‹ von Gewalt sind. Hierzulande zeigt sich die wachsende Gewaltbereitschaft trotz der Zunahme rassistisch, sexistisch und antisemitisch motivierter Gewalt eher in einer aggressiver werdenden Rhetorik (z. B. bei den Querdenkern und Verschwörungsideologen). Demgegenüber nimmt die Gewalt in ärmeren und noch krisengeschüttelteren Teilen der Welt immer manifestere Formen an und begleitet den Alltag von Menschen schon länger. Vor allem aus Brasilien, Mexiko, Indien oder Südafrika wird immer wieder von Femiziden berichtet. Aber auch die Gewaltexzesse innerhalb von Bandenkonflikten in Zentralamerika und das brutale Vorgehen der Hamas, das in dem antisemitischen Massaker vom 7. Oktober einen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat, zeugen von wachsender manifester Gewalt. Dabei sind Unterschiede zu beachten: So ist die Bandenkriminalität vor allem von Kämpfen um illegale Märkte geprägt, während bei Femiziden Gewalt von Männern mehr oder weniger ohne unmittelbaren Zweck zum Durchbruch kommt bzw. Frauen aus einer gekränkten Ehre heraus ermordet werden. Der eliminatorische Antisemitismus, wie er sich in den jüngsten Zuspitzungen zeigt, steht nochmals auf einem anderen Blatt. Und dennoch sind diese Phänomene über die globale Krisendynamik und eine männlich gefärbte Krisenverarbeitung miteinander verbunden, in der Gewalt bzw. Gewaltbereitschaft insgesamt eine nicht zu unterschätzende Größe darstellt.