ZEITSCHRIFTENARTIKEL
Herr Kant, seien Sie mir gnädig!
Gott vor Gericht in der Corona-Krise
Exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft, Bd. 19 (2022), Iss. 19: S. 153–201
1 Citations (CrossRef)
Zusätzliche Informationen
Bibliografische Daten
Böttcher, Herbert
Cited By
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Linguistic judgments in 3D: the aesthetic quality, linguistic acceptability, and surface probability of stigmatized and non-stigmatized variation
Schoenmakers, Gert-Jan
Linguistics, Bd. 61 (2023), Heft 3 S.779
https://doi.org/10.1515/ling-2021-0179 [Citations: 2]
Abstract
Die mit den Krisenprozessen verbundenen Katastrophen reichen offenbar nicht, um in der Theologie die Frage nach Gott und Leid zu thematisieren. Dazu bedurfte es des Corona-Virus. Herbert Böttcher befasst sich in dem Beitrag »Herr Kant, Seien Sie mir gnädig! – Gott vor Gericht in der Corona-Krise« mit theologischen Deutungen der Corona-Pandemie sowie ihrer affirmativ-ethischen ›Bewältigung‹. Aufgegriffen wurde dazu die sog. Theodizeefrage von dem Theologen Markus Striet. Hier zeigt sich wieder einmal das Elend einer Theologie, die affirmativ an die Aufklärung und ihr Freiheitspathos anknüpft. Nicht zufällig ist Kants praktische Vernunft ihr zentraler Bezugspunkt. Im sittlichen Handeln begegnet das Subjekt dem unbedingten Anspruch, moralisch zu handeln. Er ergibt sich aus der gegenüber Natur und kausalen Handlungsketten autonomen Vernunft. Solche Unbedingtheit moralischer Verpflichtung verbindet sich mit der Freiheit zu wählen, mit der Freiheit des Willens. Sollen und Freiheit sind ›jenseits‹ inhaltlicher, zeitlich-geschichtlicher Bestimmungen fundiert.Für Theologen/-innen ist die ›praktische Vernunft‹ attraktiv, da der aus der reinen metaphysischen Vernunft verbannte Gott als Postulat moralischen Handelns gebraucht wird. Ohne ihn bräche alle Ethik zusammen, fehlte ihr doch eine richtende Instanz, die gutes Handeln belohnt und böses Handeln sanktioniert. Nur so können Sittlichkeit und Glückseligkeit zusammenfinden und Gott wenigstens als ›Lückenbüßer‹ vor Kants Richterstuhl Gnade finden.Theologen/-innen wittern die Chance, auf der ›Höhe der Zeit‹ mitreden zu können, reden aber an dem vorbei, was ›an der Zeit‹ wäre: die kategoriale Kritik des Kapitalismus und seiner Krisenverhältnisse, die immer mehr Menschen in Leid und Tod stürzen. Corona verschärft das. Dies kommt einer an Kant orientierten Ethik ebenso wie einer daran anknüpfenden Theologie kaum in den Blick. Ihr Elend besteht in der Fundierung des Denkens in reinen Formen. Dabei sind die zu kritisierenden Verhältnisse als affirmierte ›Normalität‹ vorausgesetzt. Die Theologie bleibt bei dem ›Leisten‹, der ihr zugewiesen ist: Hilfen zur Daseinsbewältigung im Anschluss an die Welt wie sie ist. Die Alternative dazu wäre eine gesellschaftskritische Theologie, der der Bezug auf kritische Gesellschaftstheorie inhärent ist.